Die Verbraucher der Gemeinde Schlangen, insbesondere des Ortsteiles Oesterholz-Haustenbeck, wurden im Januar durch Handzettel und Zeitungsartikel aufgerüttelt: Sie wurden aufgefordert im Ort zu kaufen, damit der ortsansässige Nahversorger genug Umsatz erzielt. Der Name Nahkauf sagt es schon und so sollte es auch sein: Für alle Bürger ein fußläufig zu erreichendes Einkaufsangebot des täglichen Bedarfes.
Im Dezember berief der Marktleiter Richard Maul, der neun Märkte in Westfalen betreibt ein Krisentreffen in Oesterholz ein, bei dem auch zwei CDU Mitglieder und der Bürgermeister anwesend waren. Herr Maul eröffnete, dass eine Schließung des Nahkaufes bevorstehe, wenn nicht der Umsatz in den nächsten Monaten steige.
Dieses war eine betriebswirtschaftlich fundierte Schlussfolgerung. Da der Umsatz in den vergangenen Jahren rückläufig war, bei schon rationalisierten Kosten, eine logische Konsequenz, da der Inhaber natürlich nicht bereit ist langfristig selbst Geld in sein Unternehmen zu tragen.
Im Ortsteil Oesterholz-Haustenbeck leben 1905 Einwohner (Stand 1.1.2015), bei geschätzten 750 Haushalten, eigentlich genug Kaufkraft, um einen Lebensmittelmarkt im Ort zu erhalten. Die Entfernung in die Ortsmitte von Schlangen beträgt ca. 3,5 km, eine Autofahrt kostet laut Routenplaner an Spritkosten hin und zurück 0,98 € und ca. 15 Minuten Zeit.
Die Preise des Nahkaufes sind laut Aussage des Marktleiters Michael Preuß vergleichbar mit denen in Schlangen, das Angebot ist der Quadratmeterzahl des Nahkaufes entsprechend gut sortiert. Es kann natürlich nicht alles zu kaufen geben, was es auf der Quadratmeterzahl der Riesendiscounter gibt, aber das Meiste. Auch sind die Mitarbeiter immer offen für Wünsche der Kunden, Veränderungen im Angebot sind möglich, wenn sie denn nur mitgeteilt und ausgesprochen werden. Einiges wurde ausprobiert, um den Umsatz zu steigern. Es sind nicht die Riesensummen, die einem Markt wie Oesterholz fehlen: Wenn, geschätzt, jede Viertelstunde ein Kunde mehr mit halbwegs gefülltem Einkaufswagen kommen würde, ist der Nahkauf in Oesterholz finanziell auf einem gutem Weg.
Jeder einzelne Käufer mit seiner Marktmacht entscheidet, welche Unternehmen langfristig bestehen, welche untergehen. Wer beispielsweise Bücher nicht mehr bei der örtlichen Buchhandlung bestellt, sondern im Internet -trotz Buchpreisbindung- trägt natürlich zur Konzentration der großen Internethändler bei. Was zu weniger Vielfalt, weniger Buchverlagen, weniger Lebensqualität führt, wenn die Konzerne das Angebot diktieren. Wer sich z.B. bei Fotoapparaten vom Fachhändler beraten lässt und dann bei einer roten oder blauen Kette kauft, schwächt den Fachhändler gleich doppelt, da er dem Händler die Zeit stiehlt und keinen Umsatz bringt. Kauft man beim Fachhändler erwirbt man das Know-How, wenn er gut ist, gleich mit.
Das Problem in Oesterholz für den Nahkauf ist, das viele Menschen Auspendler sind, also einer Arbeit, Ausbildung oder Betätigung außerhalb des Ortes nachgehen. Der Ort besitzt wenige Unternehmen und keine direkte Durchfahrtstraße, daher auch keine „Einpendler“ die den ein oder anderen Euro im Einzelhandel lassen.
Der Apell im Ort einzukaufen geht jetzt besonders an alle, die nie oder selten im Ort einkaufen, die einen zweiten Lenbensmittelpunkt außerhalb haben, also sowieso mit dem Auto unterwegs sind und deshalb irgendwo unterwegs einkaufen, ohne vielleicht auch über ihre Marktmacht nachzudenken.
Es muss sich also an der Einstellung einiger Bürger etwas ändern, will man die Einkaufsmöglichkeit Nahkauf oder anderer Händler vor Ort erhalten. Das gilt fast für alle Händler im ländlichen Bereich in dem immer mehr Geschäfte schließen. Es gilt für die ganze Gemeinde Schlangen und auch für den Einkauf in Filialen, denn der Umsatz muss auch in der Filiale vor Ort stimmen, sonst schließt diese.
Die helle Seite des Euro ist die, das der Konsum die Wirtschaft fördert. Die Summe der Einzelentscheidungen steuert die Richtung die eine Volkswirtschaft nimmt, oder eben ob der Einzelhändler von Nebenan überleben kann. Seit langem ist in der Wirtschaft eine Konzentration der Marktmacht zu beobachten und dieses ist ausdrücklich nicht von der Sozialen Marktwirtschaft gewollt.
Die Soziale Marktwirtschaft wurde im Staatsvertrag von 1990 zwischen der Bundesrepublik und der DDR als gemeinsame Wirtschaftsordnung für die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vereinbart. Ziel ist es „die Vorteile einer freien Marktwirtschaft, insbesondere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die hohe Güterversorgung zu realisieren, gleichzeitig aber Nachteile wie zerstörerischer Wettbewerb, Ballung wirtschaftlicher Macht und unsoziale Auswirkungen von Marktprozessen zu vermeiden.“ (Wikipedia Link)
Und darum geht es auch in den Bemühungen der Händler in Schlangen: man lebt in einem kleinen Ort und will Handel treiben, der ein gutes Leben ermöglicht. Der soziale Aspekt ihres Tuns ist den meisten Aktiven in Schlangen sehr wichtig: Kurze Wege - auch für Menschen die nicht mehr so mobil sind, freundliche Mitarbeiter, Einkaufen als sozialer Treffpunkt, regionale Produkte erwerben und fördern, den ökologischen Fußabdruck des Einkaufens im Auge behalten, Arbeitsplätze vor Ort sichern, aber auch Spaß beim Einkaufen.
Soziale Marktwirtschaft ist keine Handlungsempfehlung nur für Großunternehmen, sondern auch für den Endverbraucher. Es geht nicht darum aus Mitleid einzukaufen, sondern ein offenes Ohr und Auge für die Angebote der leistungsfähigen Märkte und Gewerbetreibenden vor Ort zu haben. Wenn wir beim Geldausgeben die langfristige nachhaltige soziale Komponente mit einrechnen, „Leben und Leben lassen“, würde für alle ein Plus dabei herauskommen.